Salzburger Festspiele 2023: TerrassenTalk mit Peter Sellars

20.07.2023

Peter Sellars (c) SF Jan Friese
Peter Sellars

Peter Sellars ist ein US-amerikanischer Theaterregisseur und hat vor allem bei den Salzburger Festspielen künstlerische Meilensteine gesetzt. Sellars absolvierte die renommierte Phillips Academy in Massachusetts 1975 und studierte dann an der Harvard University Literatur und Musik. 1980 debütierte er in New York als Bühnenregisseur. Zu weiteren Theaterstudien reiste er nach Japan, China und Indien. 1983 war er MacArthur Fellow. Im selben Jahr wurde er Theaterleiter der Boston Shakespeare Company und 1984 zum Theaterleiter des American National Theater in Washington D. C. ernannt. In Boston machte er sich bereits einen Namen als Regisseur von modernen Interpretationen von Opern wie Così fan tutte, Die Hochzeit des Figaro oder Don Giovanni. Diese Inszenierungen wurden fürs amerikanische Fernsehen aufgenommen und machten seinen Namen bekannt. Auch in Europa ging er mit diesen Opern erstmals auf Tournee.

Im TerrassenTalk erzählt Peter Sellars über den Beginn seiner eigenen Salzburger-Festspiele-Geschichte: „Ich begann hier vor 30 Jahren mit Olivier Messiaens Saint François d’Assise“. Auch andere Komponisten, wie eben Sofia Gubaidulina hätten sich mit Messiaen auseinandergesetzt, über ihren Sonnengesang sagt er: „Mit diesem wunderbaren Stück, das sich durch Zeit und Raum hinein ins alltägliche Leben bewegt, hat Gubaidulina etwas geschaffen, das uns eine andere Welt eröffnet. Es ist eine furchtlose Musik von unglaublicher Ekstase und Wildheit. Das ganze Werk ist in seiner Anrufung der Sonne eine Art Ritual: Wie entfaltet sich ein neuer Tag, der aus der Dunkelheit heraus entsteht, was bringt die Sonne zurück? Es ist eine spezielle Form des Gebets, mit dem Cello hat Gubaidulina ein Instrument mit dunkler Farbgebung gewählt, das sie in ein Instrument des Lichts verwandelt – etwas, worüber gerade auch Markus Hinterhäuser gesprochen hat. Den auf sich allein gestellten Cello-Klang, wie wir ihn aus Bachs Suiten kennen, umgibt Gubaidulina mit den Klängen des Chors. Dazu kommt das Schlagwerk, das gemeinsam mit dem Cello all das, was zunächst verschlossen ist, aufbricht.“

Mit der zweiten Programmhälfte habe er sich während der letzten drei Jahre durch die Pandemiezeit hindurch beschäftigt, erzählt Peter Sellars weiter. Die Musik von Schütz habe schon in dem Kirchenchor, für den er Anfang zwanzig in Boston gearbeitet habe, neben Bach eine wichtige Rolle gespielt. „Während eines Lockdowns trat plötzlich ein Zustand der Stille und des Innehaltens ein. In dieser Zeit der intensiven Beschäftigung mit dem Gesamtwerk von Schütz stieß ich auch auf die Musikalischen Exequien als diejenige Musik, die ich spontan mit dieser Zeit assoziierte. Ähnlich wie während der Pandemie war es auch im 17. Jahrhundert bedingt durch den 30-jährigen Krieg und den Ausbruch der Pest plötzlich nicht mehr möglich, groß besetzte Werke aufzuführen. Entstanden ist so ein bescheidenes und klein besetztes Stück, das den Tod eines Freundes betrauert – das erste deutsche Requiem, wenn man so will.“ 

Über seine programmatische Assoziation sagt er weiter: „Während der Pandemie haben viele von uns Menschen verloren, von denen sie sich nicht einmal verabschieden konnten. Unsere Sprachlosigkeit darüber, der verordnete Übergang zur Normalität – daraus habe ich für mich selbst während der letzten zwei Jahre ein persönliches Gedenken gemacht. Die Musik von Schütz hat gewissermaßen einen Ort geschaffen, den wir während dieser Zeit nicht hatten.“ In den verschiedenen Aufnahmen, die von Schütz´ Exequien existierten, habe das Stück eine Aufführungsdauer von ca. 35 Minuten – die kommende … im Rahmen der Ouverture spirituelle komme auf etwa 80 Minuten. „Wenn man die Musik in dem Zeitmaß aufführt, in dem man sich von einer Person verabschiedet, gewinnt das Stück erheblich an Raum und Stille hinzu“, meint Sellars dazu. Begeistert äußert er sich über die mitwirkenden Solisten: „Julia Hagen ist unglaublich! Ihre Persönlichkeit geht voll und ganz in der Musik auf. Den „verrücktesten“ Part hätten mit Blick auf die Anforderungen des Sonnengesangs die beiden Schlagzeuger: „Sofia Gubaidulina verlangt immer mehr von einem als man selbst glaubt, geben zu können. Wenn das dann aber tatsächlich gelingt, passiert etwas Unglaubliches.“

Peter Sellars´ Salzburger Inszenierung von Messiaens Saint François d’Assisesei ein bis heute für ihn prägendes Erlebnis im Hinblick darauf, was Musiktheater mitteilen kann, unterstreicht Markus Hinterhäuser nochmals und spannt von dort aus den Bogen zu Sellars´ „hoch gerühmter, wichtiger Inszenierung“ von Henry Purcells The Indian Queen in Madrid, die bei den diesjährigen Festspielen konzertant zur Aufführung kommt. „Purcell gehört zu den Komponisten, die eine regelrecht spirituelle Energie freisetzen können“, sagt Sellars. „Purcells Lebensleistung bestand in nichts weniger, als die in England aufgrund puritanischer Einflüsse für ganze zwei Generationen verstummte Musik wieder hörbar zu machen. Dazu kamen kriegs- und seuchenbedingte Einschränkungen, als Folge davon gab es viel Chormusik a cappella und kleine Besetzungen. Purcell starb über der halb vollendeten Partitur, über die Erstaufführung wissen wir nichts. Als Teodor Currentzis und ich uns erstmals getroffen haben, hat er mich gefragt, ob ich Purcells Indian Queen kenne. Ich kannte das Stück aus meinen 20er-Jahren, Currentzis war darauf über den russischen Filmemacher Andrej Tarkovski gestoßen, der in vielen seiner Filme Barockmusik verwendet hat und in dessen Film Der Spiegeldas Orchester das letzte Stück aus Purcells Indian Queen spielt. Da die Oper unvollendet ist, haben wir uns am Gehalt von Purcells Opern King Arthur oderThe Fairy Queen orientiert. Teodor hat sich darüber hinaus einen Überblick über Purcells gesamte theatrale Musik unter Einbeziehung der geistlichen Werke verschafft, woraus wir dann die Ergänzung der Partitur vorgenommen haben.“

Über den Text der von ihm geschaffenen Fassung sagt Sellars: „Das Original-Libretto ist heute nicht mehr vermittelbar, ich habe daher auf den Roman der nicaraguanischen Schriftstellerin Rosario Aguilar zurückgegriffen, der sich mit der Geschichte der spanischen Eroberungskriege beschäftigt und von einer Frau erzählt, deren Liebe zu einem Conquistador bitter enttäuscht wird. Wir haben dadurch einen völlig neuen Plot mit vielen Bezügen zu unserer Zeit geschaffen, der aber gleichzeitig der Musik Purcells ihre emotionale Sprache lässt. Im Schlussstück, einer der größten Arien, die je geschrieben wurden – bei uns von Jeanine de Bique gesungen – gibt es eine Passage, in der der Sänger schweigt und in der das Orchester diese große, schöne Streicherfassung aus dem oben erwähnten Tarkovski-Film spielt.“

Seine eigene Arbeit bestehe weniger in Regieführung als im Suchen und Finden von Gefühlszuständen. Die Arbeit mit den Sängern und an der Textfassung sei sehr emotional – das Ergebnis sei daher nicht sichtbar – man werde es aber hören und fühlen. Dazu werde es tänzerische und schauspielerische Elemente geben: „Sofia Gubaidulina macht das Licht über ihre Musik sichtbar, sie gibt gewissermaßen auch ihre eigenen Regieanweisungen über den Cello-Part. Schütz entfaltet eine große physische Wirkung über den Chor, die Inszenierung ist hier sehr detailliert, die hohe Intensität, mit der musikalische Formen in eine zusätzliche Dimension transformiert werden, wird sichtbar sein.“

zurück